über

manfred may

 

 (auswahl)

 

susanne knorr

laudatio zur eröffnung der ausstellung korrespondenzen in der kunsthalle arnstadt

(20.09.2008):

 

Korrespondenzen

 

Vielleicht denkt man bei dem Begriff Korrespondenz zuerst an den schriftlichen Gedankenaustausch von Personen – traditioneller Weise in Form eines Briefwechsels geführt. Wörter wie kommunizieren, formulieren, ausdrücken, beschreiben liegen da nicht weit entfernt.

Mit einer leichten Bedeutungsverschiebung meint Korrespondenz aber auch: Es gibt Parallelen und Übereinstimmungen.

 

Auf der Suche nach einem Ausstellungstitel sind Manfred May und Thomas Wolf in einen solchen Gedankenaustausch mittels moderner Medien getreten. Dieser Dialog war eine Näherung der beiden an die jeweilige andere künstlerische Arbeit und Position und damit auch ein Kennenlernen des Anderen überhaupt. Liest man den Extrakt dieses Austauschs, erscheint er wie eine gut geführte Dramaturgie: Die Übereinstimmungen in Werk und Ansatz haben beide Künstler Schritt für Schritt, erst tastend, dann mit immer mehr Gewissheit, festgestellt, so dass letztlich alles im Begriff der Korrespondenz eine logische Setzung findet. In jedem der drei Räume begegnen sich ihre Arbeiten – Installationen und Fotografien.

 

I.

Manfred May hat in den vergangenen Jahren seinen bewusst reduzierten Materialkanon von Papier, Ziegelstein, Holz und Schiefer um das Glas erweitert. Dieses seit alters her bekannte und benutzte Material spielt seitdem in seiner künstlerischen Auseinandersetzung die Hauptrolle. Nicht das handwerklich hergestellte, sondern das industriell produzierte transparente, farblose Glas – das Floatglas mit seiner glatten Oberfläche- maßhaltig geschnitten, ist sein Arbeitsmaterial. Die Zerbrechlichkeit, Reinheit, das Vermögen von Reflektion und Brechung sowie die Leichtigkeit, die es assoziiert, interessieren ihn. Er kombiniert es mit Papier, Eisen, Quarzsand und Holz.

Seit mehr als 20 Jahren setzt sich Manfred May in seinen Installationen mit dem Thema Raum auseinander. Nie geht es um Beschreibung, sondern um Rekonstruktion. Wobei diese Re-Konstruktion nicht als originalgetreuer Nachbau zu verstehen ist, sondern als Übertragung eines Raumes in einen anderen und das Erfahren seiner Wirkung am neuen Ort. Dabei wird nur das Einzelne extrahiert und steht stellvertretend für das Ganze. Ein bestimmtes Format wird aufgegriffen, zum Beispiel die Rasterung von Fenstern oder die eines Fliesenbodens wie in der Installation lebe ich, inmitten. Es ist eine Arbeit, die ursprünglich in der Schweiz entstanden ist, danach 2005 in Erfurt während der Ausstellung „Einschluss“ in einer ehemaligen Gefängniszelle installiert wurde und für Arnstadt wieder in veränderter Form aufgebaut ist. Das Fliesenmaß 10 x 10 cm und der Grundriss eines Raumes sind 1:1 übernommen. Durch den Austausch der Materialien, transparentes Glas ersetzt die undurchsichtigen Steingutfliesen, wird der Boden der Kunsthalle mit seinen Ausplatzungen und den Farbspuren ebenfalls zu einem Bestandteil der Installation. Die abgenommenen Abdrücke von Gegenständen, die sich im ursprünglichen Raum befunden haben, ergänzen diese Arbeit. Sie sind ausgebreitet auf Glastischen, die ihrerseits wiederum den Kunsthallenraum einbeziehen: Schaut man durch sie hindurch, werden sie zum Rahmen, der das Bild „Boden“ umschließt.

 

Wie eine Barriere steht der schmale Glastisch der Arbeit zu Ajgi „Nacht des ersten Schnees“ und doch kann man sie umgehen und von immer neuen Blickwinkeln das Werk erschließen. Der gebogene Ast ist ein Fundstück, eins von denen, die häufig in Manfred Mays Arbeiten eingebunden werden. Auch sie erfahren eine Übertragung von einem Bedeutungskontext in den anderen.

 

In der Raumskulptur zu Anna Achmatowa „9 (Requiem)“ liegen zwei Holzbohlen auf zwölf vertikal hintereinander gestellten Glasscheiben. Hier geht es um Kräfteverteilung, um Stabilität und Instabilität, um Lasten und Stützen. Ein Aspekt, der mit der Stahlbetonkonstruktion der Kunsthallendecke in Beziehung tritt. Dass dabei die zwei Holzbohlen in ihrer Färbung sowie in der Art der Maserung verschieden sind und ebenso in der Form der Aussparungen sich kantig und rund gegenüberstehen, zeigt das Spiel mit Gegensätzen, das aber nie eine dramatische Übersteigerung erfährt, sondern immer als Akt der Balance ganz subtil transportiert wird.

 

Leise Töne werden angeschlagen, Zurückhaltung und Respekt gegenüber dem Vorgefundenen ausgedrückt. Etwas Poetisches schwingt mit, nicht nur durch den Textbezug der Installationen – Gedichte wie in den beiden beschriebenen Arbeiten oder das Galeerentagebuch von Kertesz’ in Scheitern – Fünf Stationen bilden eine Folie. Es ist auch die Transparenz des Glases, die den Arbeiten Leichtigkeit verleiht, selbst da, wo Glas geschichtet wird und Verläufe entstehen. Die Fragilität macht es verletzbar und durch Spiegelung wird das sich ständig verändernde Umfeld einbezogen, unterschiedliche Lichtverhältnisse spielen für die Wahrnehmung ebenso eine Rolle. Die Genauigkeit bei der Ausrichtung der Elemente zueinander und die aufeinander bezogenen Maßverhältnisse erzeugen Ruhe, ohne dass auf Irritationen durch unterbrochene Linien, ein bewusstes Quer-gegen-längs-Setzen verzichtet wird.

Manfred May versteht diesen Umgang mit dem Bestehenden als heilende Geste, mit der etwas geschützt und bewahrt wird, als eine Art temporärere Archivierung.

 

II.

Raum, Wandlung und Bewahren sind auch für die Arbeiten von Thomas Wolf ganz zentrale Begriffe. Der bei Peter Pachnicke und Timm Rautert an der HGB in Leipzig studierte Fotograf hat sein Interesse seit Ende der 1980er Jahre auf das Aufspüren des Vergangenen gerichtet. Industrieräume mit ihren Landschaften und Architekturen sind sein Thema.

Anfänglich waren es die gerade verlassenen Orte der Arbeit und Produktion aber auch des Lebens, die ihn in ihrem Verlassensein und dem damit einsetzenden Verfall faszinierten. Arbeiten aus den frühen Serien Bitterfeld (1991) und Bischofferode (1994) zeigen monumentale Industrieanlagen in einem Augenblick, in dem höchstens der durchfegende Wind noch etwas bewegt, sonst herrscht Stillstand und Ruhe. Wie ausgestorben wirken diese menschenleeren Orte. Das Auge erforscht die Konstruktion dieser Industrieanlagen: Werkhallen mit ihrem Stützensystem, Maschinen mit dem Geflecht aus Rohrleitungen und Eisenteilen sowie deren Einrichtungen – die Komplexität von Formen, Linien und Strukturen ordnet sich. Sie werden zum Gestaltungselement eines konsequenten Komponierens. Detailgenau mit einer im gesamten Bildraum vorherrschenden Schärfe, die das Groß- und Mittelformat ermöglicht, wirken die Aufnahmen beim flüchtigen Schauen bloß sachlich. Beim längeren Betrachten nimmt man das Besondere der abgelichteten Räume wahr. Einige von ihnen scheinen regelrecht mit Imaginärem aufgeladen zu sein. Manches Mal ist es das leichte Gegenlicht, das durch Raumöffnungen dringt, oder ein Detail, das einen Linienverlauf unterbricht, irritiert, eine Gegenspannung erzeugt und wie ein narratives Element dem Bild ein Mehr hinzufügt. Die Distanz gegenüber dem Gegenstand schwindet.

 

Die Einzelfotografien aus der Serie Zschornewitz sind wie Perlen auf einer Schnur aneinandergereiht gehängt. Die Aufnahmen der Typenhäuser entstanden in einer Kraftwerkssiedlung unter immer gleichen Aufnahmebedingungen: gleicher Standort, gleiche Lichtverhältnisse, gleicher Gegenstand. Dieser methodische Ansatz lässt die Unterschiede im Detail umso deutlicher hervortreten.

 

In einer späteren Folge, Konversion (1999), wird die bis dahin fast ausschließliche Schwarzweißfotografie von Thomas Wolf um die Farbe erweitert. In ähnlicher Form aufgegriffen wird die Gegenüberstellung von Farb- und Schwarzweißbild in dieser Ausstellung mit den Fotografien der Folge Bischofferode. In diesen 1994 und 1998 entstandenen Arbeiten unternimmt Thomas Wolf aber noch einen anderen Versuch: Es sind Vorher-Nachher-Bilder. Im schwarzweißen Vorher dominiert die in die Natur eingeschriebene Industrialisierung. Dass sie nur ein zeitlich begrenztes Intermezzo ist, zeigen die in ihrer Farbigkeit sehr zurückgenommen Gegenüberstellungen. Sie entstanden vier Jahre später unter der Bedingung desselben Kamerastandpunktes. Zwischenzeitlich hatte man die Förderanlagen zurückgebaut und mit einer Renaturierung begonnen. So verdeutlichen die Farbfotografien den Wandel in der Topografie des Ortes. Die Hängung in Viererblöcken spielt mit den zeitlichen Ebenen, springt hin und her und wirkt damit der Anmutung des rein Dokumentarischen zusätzlich entgegen.

 

Die jüngsten der ausgestellten Fotografien aus dem Projekt „Stadt machen“ (2005) gehen nicht nur im Umgang mit Farbe einen Schritt weiter, sie schreiben zugleich das Thema fort. Im Kamerafokus für diese Serie standen zumeist ehemalige Industrielandschaften und Regionen, die eine völlige Überformung nach Stilllegung bzw. Abriss erfahren haben und jetzt neu belebt sind. Für sie kann das Bild der heilenden Geste wieder in Anspruch genommen werden, dieses Mal durch Städteplaner ausgeführt, aber eingefangen durch die Fotografie. Um den Bildgegenständen des Projektes zu entsprechen, wählte Thomas Wolf unter Beibehaltung der analogen Aufnahmetechnik das für die Landschaftsfotografie übliche Panoramaformat.

 

III.

Der Plural von Korrespondenz verweist in dieser Ausstellung auf verschiedene Ebenen von Übereinstimmung und Parallelität.

Zum einen ist das Werk jedes Künstlers für sich gesehen homogen. Jeder der beiden hat sein Thema gefunden, umkreist es, variiert und erweitert es, so dass die einzelnen Arbeiten in einem internen Bezugssystem stehen. Das gilt gleichsam für das verwendete Material, die eingesetzte Technik und die methodische Herangehensweise.

Zum anderen gibt es in den Arbeiten von Manfred May und Thomas Wolf sehr offensichtliche Beziehungen, die sich unter anderem im Bewahren und in der Auseinandersetzung mit verlassenen Räumen ausdrücken. Aufgesucht haben sie unbewusst ähnliche Orte, jeder hat diese auf seine Weise übersetzt, der eine ins fotografische Bild, der andere in eine Raumskulptur. Die sich dabei ergebenden Übereinstimmungen hat Manfred May so formuliert. „Ich habe bei verschiedenen deiner Fotos den Eindruck gehabt, es könnte sich um Fotos meiner Arbeiten handeln.“

Die dritte Korrespondenzebene ist die mit dem Ausstellungsraum: entweder bildmotivisch, etwa da, wo realer Industriebau auf fotografierten trifft, oder durch eine direkte Einbeziehung des Realraumes in die Installation.

 

Und die vierte steht uns als Betrachter zu: Sie ist das Eintreten in den Dialog mit dem Kunstwerk.

 

 

 

zum LESELAND-projekt: (online)

www.diddi-online.net/beta/index.php?option=com_content&task=view&id=24&Itemid=40

 

 

Der Tagesspiegel, 19.8.2005 (online)

www.tagesspiegel.de/kultur/;art772,2132380

 

 

Freies Wort 19.10.2001:

Meditationen aus Glas und Stahl (Autor: Jörg-Heiko Bruns)

[...] Manfred May, der inzwischen zahlreiche Ausstellungen, auch auf internationalem Parkett hatte, bietet keine leichte Kost, aber eine, die im heutigen Alltag besonders wertvoll ist und sich vielleicht auch wohltuend einer spirituellen Seite öffnet.

 

 

Referat von Ueli 0. Kräuchi zur Eröffnung der Ausstellung Nacht/Garten von Manfred May in der Franziskaner-Klosterkirche in Zeitz am 29. September 2001

Ich freue mich, im Rahmen dieser außergewöhnlichen Ausstellung etwas zum Werk von Manfred May sagen zu dürfen. Außergewöhnlich ist nicht nur dieser Kirchenraum als Ausstellungsort, außergewöhnlich ist ebenso der Umstand, dass Manfred May gleich an drei Orten in Zeitz ausstellen kann: Hier, in der Literaturgalerie der Stadtbibliothek, wo gestern Abend schon Vernissage war, werden 12 großformatige grafische und zeichnerische Arbeiten gezeigt, und im Technischen Museum Hermannsschacht, wo wir nachher noch hinfahren, weitere Installationen.

 

Schließlich ist auch außergewöhnlich, dass diese drei Ausstellungen im Kontext der diesjährigen Literatur-Tage des Landes Sachsen-Anhalt eröffnet werden. Manfred May arbeitet als bildender Künstler seit mehr als 20 Jahren mit Texten. Aber auf sehr unübliche Weise. Sein Textbezug ist nicht derjenige klassischer Buchillustrationen oder sogenannter freier Text-Interpretationen: Seine Werke sind nicht narrativ. Er verknüpft seine Arbeiten vielmehr mit Texten, die für ihn dann zu einem" unverzichtbaren Teil seiner Arbeit" werden, wie er das selbst formuliert.

 

Wer mit der Arbeits- und Vorgehensweise von Manfred May vertraut ist weiß, dass Texte für ihn eine Art Fundstücke sind, die er in einem relativ fortgeschrittenen Stadium seiner Arbeit neben diese stellt. Es sind keine Zufallsfunde. Vielmehr sind verschiedenste Texte durch eine intensive Lektüre an sich präsent, aber noch ohne Funktion, bis Manfred May beim Werden einer Arbeit eine große Nähe eines Textes zu seiner Arbeit empfindet und diesen dann als eigenständige poetische Existenz mit seinem Werk verknüpft. Mit scheint wichtig, dass bewusst wird, dass Texte für Manfred May weder Konzepte zur Bildfindung noch eigentliche Bildinterpretationen sind.

 

So soll auch das Zitat aus Novalis' Hymnen an die Nacht, das über allen diesen Arbeiten steht, -.. und ich einsam stand an diesem Hügel, der in engen, dunklen Raum die Gestalt meines Lebens barg einsam, wie noch kein Einsamer war, von unsäglicher Angst getrieben"

 (so soll auch dieses Zitat) eine inhaltliche Nähe anzeigen, ohne damit die bildnerischen Werke schon zu erklären.

 

Manfred May kehrt nach 13 Jahren nach Zeitz zurück - oder" nähert sich Zeitz noch einmal an", wie er das mit seinen eigenen Worten gesagt hat.

 

Er kommt mit neuen Arbeiten.

 

Nachdem er in einer beeindruckenden Retrospektive im Herbst 1998 in Zella-Mehlis, nahe seinem heutigen Wohnort Benshausen, in leerstehenden Fabrikhallen der ehemaligen Mercedes-Werke Arbeiten von 20 Jahren dokumentieren konnte.

 

In der Ausstellung von 1998 in Zella-Mehlis wurde ersichtlich: Manfred May hat sich gewandelt. Er ist ein anderer geworden. Ein anderer in einer anderen Weit.

 

Das wäre vielleicht das Stichwort, um auf Manfred Mays Biographie einzugehen. Und über seine Zeit in Zeitz - und danach - zu reden. Vieles würde dafür sprechen, dies zu tun. Vor allem der Umstand, dass Manfred Mays Werk starke autobiographische Komponenten hat. (Aber da gibt es ja die Fachdiskussion, inwiefern die Arbeit eines Künstlers immer auch autobiographisch ist - insbesondere bei Schriftstellern.)

 

Festzustellen ist jedenfalls soviel, dass Manfred May vom vergangenen Jahrzehnt, in dem er seine Erlebnisse in der DDR auch mit künstlerischen Mitteln verarbeitet hat (wie andere Kunstschaffende natürlich auch), als von einer schlimmen Zeit spricht, von einer Erfahrung, die für ihn nun aber beendet ist.

 

Und er kommt heute nicht zurück in Zorn - wie das schon gestern Abend mit dem Rekurs auf Dürrenmatt angeklungen ist. Für Manfred May sind einfach die Zeit in Zeitz und seine persönlichen Erfahrungen mit der DDR zusammengefallen. Das sieht Manfred May auch. Und wenn er heute - im Bewusstsein, dass er diese Zeit überwunden hat - sagt, dass es eine für ihn wertvolle Erfahrung war, ohne die er seine heutige Freiheit nicht auf

gleiche Weise schätzen würde, scheint mir, sei bezüglich seines Verhältnisses zu Zeitz wenn nicht alles, so doch das Wesentlichste gesagt.

 

Noch nicht gesagt ist, was daraus für seine Arbeit folgt. Manfred May ist um es einmal etwas plakativ zu sagen - nicht der heitere Künstler, der leicht und spielerisch mal dies, mal jenes macht. So wie er umgekehrt auch nicht laut lamentiert, über Überwundenes klagt.

 

Aber er kennt die düsteren Seiten der Existenz - und er negiert sie nicht. Da ist er vielleicht mehr als beim ersten Hinsehen offenkundig wird ein Verwandter von Novalis.

 

Licht und Schatten sind sein Thema, das er mit Ernst und tiefgründig angeht. Zwar könnte man bei diesen Ausstellungen hier in Zeitz einen autobiographischen Rückbezug von Manfred May auf seine Zeit in Zeitz vermuten - und vielleicht klingt das diesmal - aus gegebenem Anlass tatsächlich noch einmal deutlich an. Aber es geht auch um viel Grundsätzlicheres als um Autobiographisches im engeren, persönlichen Sinne. Etwa um Erkenntnisse in der Art, dass die dunklen Seiten eine vitale, helle Entsprechung haben.

 

Und wie das Manfred May sagt. Er malt uns keinen Feuervogel vor, um uns an die gängige Metapher vom Phönix, der aus der Asche kommt, zu erinnern. Sondern führt uns mit seinen stillen, ruhigen Arbeiten mit viel Ernst in die Nähe der Meditation - wenn wir denn dazu bereit sind.

 

Das haben Sie gestern Abend schon an den grafischen und zeichnerischen Arbeiten in der Literaturgalerie in der Stadtbibliothek feststellen können. Und das stellen Sie jetzt hier in der Franziskaner Klosterkirche wieder fest, am deutlichsten wohl bei den faszinierenden Bodenskulpturen in der Mitte des Schiffes, die wiederum beide Aspekte umfassen: die dunklen Seiten und die hellen sog."Gärten".

 

Wer die Arbeiten von Zella-Mehlis kennt, sieht das Dortige hier in beeindruckender Weise weiterentwickelt: Das der Idee der japanischen Zen-Gärten verwandte Prinzip der äußersten Reduktion der Mittel verwirklicht in den Quarzsand-"Zeichnungen" - wird direkt integriert in die Glaslegungen mit den dunklen Spiegelungen, in denen die Architektur dieser Kirche so phantastisch sichtbar wird - einer May'schen Metapher für Nacht.

 

Wenn Sie sich nicht schon gestern Abend damit auseinander setzten, haben es ohne Zweifel hier festgestellt, Manfred May konfrontiert uns mit sehr stark reduzierten Arbeiten.

 

Er beschränkt sich im Einsatz der Mittel und im Maß der Veränderung der gefundenen oder eingesetzten Materialien sehr. Die Werke sind das sublime Resultat von Verdichtungsprozessen, einer gedanklichen Arbeit, die lange vor der Bearbeitung von Materialien einsetzt.

 

Manfred May ist nicht der Künstler, der Materialien nimmt und sie gleich zu bilden, zu formen beginnt. Er setzt sich viel intensiver als wir das üblicherweise tun mit den Eigenschaften, dem Charakter seiner Materialien auseinander. Und verändert sie erst danach - wenn überhaupt - beinahe zaghaft, nur minimal. Manfred May spricht in diesem Zusammenhang vom Respekt gegenüber den von ihm eingesetzten Materialien.

 

Der langsame, lange Entstehungsprozess einer Arbeit - in Verbindung mit den minimalen Eingriffen - führt dazu, dass sich die Werke von Manfred May generell auch nicht in der Schnelle erfassen lassen. Ein rascher Blick darauf genügt nicht. Der lange Gestaltungsprozess verlangt ein Analoges von der Betrachterin, vom Betrachter.

 

Die Werke erschließen sich erst - davon war gestern schon die Rede wenn man sich auf sie einlässt. Doch dann öffnen sie sich, entfalten lyrische Dimensionen, vermitteln uns Rezipienten neue Seherlebnisse: besonders die großen Glasinstallationen.

 

336 unversehrte Glasscheiben sind hier auf dem Boden des Kirchenschiffes ausgelegt, gegliedert in vier und diese wiederum in vier Gruppen. Die Glasplatten spiegeln maßgenau das große Kirchenfenster der Westfassade auf dem Fußboden, der genauso wie die Fenster Spuren der Beschädigung aufweist.

 

 (Weil wir die Gläser auf dem Fußboden stets stark verkürzt sehen, wenn wir alle sehen wollen, zweifelt unser Auge zwar über die Maßgenauigkeit. Aber die Maße stimmen überein.)

 

Eine" heilende Geste" nennt Manfred May seinen subtilen Eingriff. Dabei geht es um weit mehr als um ein Verweisen auf die verletzte Haut des Gebäudes durch das Auslegen einer unverletzten Entsprechung.

 

Es entstehen produktive Irritationen, denn üblicherweise sieht man weder Fußboden hinter Glas noch Glas auf dem Fußboden. Gemäß unserer Seherfahrung verdient das, was sich hinter Glas befindet, besondere Aufmerksamkeit. Folglich fokussieren wir unseren Blick ungewollt auf ein Stück mehr oder weniger defekten Fußbodens, den wir - dank veränderten Prämissen - plötzlich als ästhetisches Phänomen wahrnehmen.

 

Im Zusammenhang mit den "vier Spiegeln", der Glasinstallation in der Zella-Mehliser Ausstellung, konstatierte Kasseler Kunstwissenschaftler Georg Bussmann auch einen Bruch in der Wahrnehmung": "So sieht man Glas normalerweise nicht." Die Gläser auf dem Boden sähen aus wie etwas anderes, wie ausgegossenes und gefrorenes Wasser, also Eis.

 

Was spielt sich hier nun wirklich ab? Es bauen sich gegenseitig immer wieder wechselnde Bezüge und Verweise auf zwischen dem Glas, das Licht nach innen lässt, und dem Glas, das dieses Glas (und vielleicht auch das Licht) spiegelt. So entsteht ein Energiefeld zwischen den Gläsern, dem eine ähnliche vitale Kraft entspringt, wie wir sie auch bei anderen Werken von Manfred May empfinden können.