Referat von Ueli 0. Kräuchi zur Eröffnung der Ausstellung Nacht/Garten von Manfred May in der Franziskaner-Klosterkirche in Zeitz am 29. September 2001
Ich freue mich, im Rahmen dieser außergewöhnlichen Ausstellung etwas zum Werk von Manfred May sagen zu dürfen. Außergewöhnlich ist nicht nur dieser Kirchenraum als Ausstellungsort, außergewöhnlich ist ebenso der Umstand, dass Manfred May gleich an drei Orten in Zeitz ausstellen kann: Hier, in der Literaturgalerie der Stadtbibliothek, wo gestern Abend schon Vernissage war, werden 12 großformatige grafische und zeichnerische Arbeiten gezeigt, und im Technischen Museum Hermannsschacht, wo wir nachher noch hinfahren, weitere Installationen.
Schließlich ist auch außergewöhnlich, dass diese drei Ausstellungen im Kontext der diesjährigen Literatur-Tage des Landes Sachsen-Anhalt eröffnet werden. Manfred May arbeitet als bildender Künstler seit mehr als 20 Jahren mit Texten. Aber auf sehr unübliche Weise. Sein Textbezug ist nicht derjenige klassischer Buchillustrationen oder sogenannter freier Text-Interpretationen: Seine Werke sind nicht narrativ. Er verknüpft seine Arbeiten vielmehr mit Texten, die für ihn dann zu einem" unverzichtbaren Teil seiner Arbeit" werden, wie er das selbst formuliert.
Wer mit der Arbeits- und Vorgehensweise von Manfred May vertraut ist weiß, dass Texte für ihn eine Art Fundstücke sind, die er in einem relativ fortgeschrittenen Stadium seiner Arbeit neben diese stellt. Es sind keine Zufallsfunde. Vielmehr sind verschiedenste Texte durch eine intensive Lektüre an sich präsent, aber noch ohne Funktion, bis Manfred May beim Werden einer Arbeit eine große Nähe eines Textes zu seiner Arbeit empfindet und diesen dann als eigenständige poetische Existenz mit seinem Werk verknüpft. Mit scheint wichtig, dass bewusst wird, dass Texte für Manfred May weder Konzepte zur Bildfindung noch eigentliche Bildinterpretationen sind.
So soll auch das Zitat aus Novalis' Hymnen an die Nacht, das über allen diesen Arbeiten steht, -.. und ich einsam stand an diesem Hügel, der in engen, dunklen Raum die Gestalt meines Lebens barg einsam, wie noch kein Einsamer war, von unsäglicher Angst getrieben"
(so soll auch dieses Zitat) eine inhaltliche Nähe anzeigen, ohne damit die bildnerischen Werke schon zu erklären.
Manfred May kehrt nach 13 Jahren nach Zeitz zurück - oder" nähert sich Zeitz noch einmal an", wie er das mit seinen eigenen Worten gesagt hat.
Er kommt mit neuen Arbeiten.
Nachdem er in einer beeindruckenden Retrospektive im Herbst 1998 in Zella-Mehlis, nahe seinem heutigen Wohnort Benshausen, in leerstehenden Fabrikhallen der ehemaligen Mercedes-Werke Arbeiten von 20 Jahren dokumentieren konnte.
In der Ausstellung von 1998 in Zella-Mehlis wurde ersichtlich: Manfred May hat sich gewandelt. Er ist ein anderer geworden. Ein anderer in einer anderen Weit.
Das wäre vielleicht das Stichwort, um auf Manfred Mays Biographie einzugehen. Und über seine Zeit in Zeitz - und danach - zu reden. Vieles würde dafür sprechen, dies zu tun. Vor allem der Umstand, dass Manfred Mays Werk starke autobiographische Komponenten hat. (Aber da gibt es ja die Fachdiskussion, inwiefern die Arbeit eines Künstlers immer auch autobiographisch ist - insbesondere bei Schriftstellern.)
Festzustellen ist jedenfalls soviel, dass Manfred May vom vergangenen Jahrzehnt, in dem er seine Erlebnisse in der DDR auch mit künstlerischen Mitteln verarbeitet hat (wie andere Kunstschaffende natürlich auch), als von einer schlimmen Zeit spricht, von einer Erfahrung, die für ihn nun aber beendet ist.
Und er kommt heute nicht zurück in Zorn - wie das schon gestern Abend mit dem Rekurs auf Dürrenmatt angeklungen ist. Für Manfred May sind einfach die Zeit in Zeitz und seine persönlichen Erfahrungen mit der DDR zusammengefallen. Das sieht Manfred May auch. Und wenn er heute - im Bewusstsein, dass er diese Zeit überwunden hat - sagt, dass es eine für ihn wertvolle Erfahrung war, ohne die er seine heutige Freiheit nicht auf
gleiche Weise schätzen würde, scheint mir, sei bezüglich seines Verhältnisses zu Zeitz wenn nicht alles, so doch das Wesentlichste gesagt.
Noch nicht gesagt ist, was daraus für seine Arbeit folgt. Manfred May ist um es einmal etwas plakativ zu sagen - nicht der heitere Künstler, der leicht und spielerisch mal dies, mal jenes macht. So wie er umgekehrt auch nicht laut lamentiert, über Überwundenes klagt.
Aber er kennt die düsteren Seiten der Existenz - und er negiert sie nicht. Da ist er vielleicht mehr als beim ersten Hinsehen offenkundig wird ein Verwandter von Novalis.
Licht und Schatten sind sein Thema, das er mit Ernst und tiefgründig angeht. Zwar könnte man bei diesen Ausstellungen hier in Zeitz einen autobiographischen Rückbezug von Manfred May auf seine Zeit in Zeitz vermuten - und vielleicht klingt das diesmal - aus gegebenem Anlass tatsächlich noch einmal deutlich an. Aber es geht auch um viel Grundsätzlicheres als um Autobiographisches im engeren, persönlichen Sinne. Etwa um Erkenntnisse in der Art, dass die dunklen Seiten eine vitale, helle Entsprechung haben.
Und wie das Manfred May sagt. Er malt uns keinen Feuervogel vor, um uns an die gängige Metapher vom Phönix, der aus der Asche kommt, zu erinnern. Sondern führt uns mit seinen stillen, ruhigen Arbeiten mit viel Ernst in die Nähe der Meditation - wenn wir denn dazu bereit sind.
Das haben Sie gestern Abend schon an den grafischen und zeichnerischen Arbeiten in der Literaturgalerie in der Stadtbibliothek feststellen können. Und das stellen Sie jetzt hier in der Franziskaner Klosterkirche wieder fest, am deutlichsten wohl bei den faszinierenden Bodenskulpturen in der Mitte des Schiffes, die wiederum beide Aspekte umfassen: die dunklen Seiten und die hellen sog."Gärten".
Wer die Arbeiten von Zella-Mehlis kennt, sieht das Dortige hier in beeindruckender Weise weiterentwickelt: Das der Idee der japanischen Zen-Gärten verwandte Prinzip der äußersten Reduktion der Mittel verwirklicht in den Quarzsand-"Zeichnungen" - wird direkt integriert in die Glaslegungen mit den dunklen Spiegelungen, in denen die Architektur dieser Kirche so phantastisch sichtbar wird - einer May'schen Metapher für Nacht.
Wenn Sie sich nicht schon gestern Abend damit auseinander setzten, haben es ohne Zweifel hier festgestellt, Manfred May konfrontiert uns mit sehr stark reduzierten Arbeiten.
Er beschränkt sich im Einsatz der Mittel und im Maß der Veränderung der gefundenen oder eingesetzten Materialien sehr. Die Werke sind das sublime Resultat von Verdichtungsprozessen, einer gedanklichen Arbeit, die lange vor der Bearbeitung von Materialien einsetzt.
Manfred May ist nicht der Künstler, der Materialien nimmt und sie gleich zu bilden, zu formen beginnt. Er setzt sich viel intensiver als wir das üblicherweise tun mit den Eigenschaften, dem Charakter seiner Materialien auseinander. Und verändert sie erst danach - wenn überhaupt - beinahe zaghaft, nur minimal. Manfred May spricht in diesem Zusammenhang vom Respekt gegenüber den von ihm eingesetzten Materialien.
Der langsame, lange Entstehungsprozess einer Arbeit - in Verbindung mit den minimalen Eingriffen - führt dazu, dass sich die Werke von Manfred May generell auch nicht in der Schnelle erfassen lassen. Ein rascher Blick darauf genügt nicht. Der lange Gestaltungsprozess verlangt ein Analoges von der Betrachterin, vom Betrachter.
Die Werke erschließen sich erst - davon war gestern schon die Rede wenn man sich auf sie einlässt. Doch dann öffnen sie sich, entfalten lyrische Dimensionen, vermitteln uns Rezipienten neue Seherlebnisse: besonders die großen Glasinstallationen.
336 unversehrte Glasscheiben sind hier auf dem Boden des Kirchenschiffes ausgelegt, gegliedert in vier und diese wiederum in vier Gruppen. Die Glasplatten spiegeln maßgenau das große Kirchenfenster der Westfassade auf dem Fußboden, der genauso wie die Fenster Spuren der Beschädigung aufweist.
(Weil wir die Gläser auf dem Fußboden stets stark verkürzt sehen, wenn wir alle sehen wollen, zweifelt unser Auge zwar über die Maßgenauigkeit. Aber die Maße stimmen überein.)
Eine" heilende Geste" nennt Manfred May seinen subtilen Eingriff. Dabei geht es um weit mehr als um ein Verweisen auf die verletzte Haut des Gebäudes durch das Auslegen einer unverletzten Entsprechung.
Es entstehen produktive Irritationen, denn üblicherweise sieht man weder Fußboden hinter Glas noch Glas auf dem Fußboden. Gemäß unserer Seherfahrung verdient das, was sich hinter Glas befindet, besondere Aufmerksamkeit. Folglich fokussieren wir unseren Blick ungewollt auf ein Stück mehr oder weniger defekten Fußbodens, den wir - dank veränderten Prämissen - plötzlich als ästhetisches Phänomen wahrnehmen.
Im Zusammenhang mit den "vier Spiegeln", der Glasinstallation in der Zella-Mehliser Ausstellung, konstatierte Kasseler Kunstwissenschaftler Georg Bussmann auch einen Bruch in der Wahrnehmung": "So sieht man Glas normalerweise nicht." Die Gläser auf dem Boden sähen aus wie etwas anderes, wie ausgegossenes und gefrorenes Wasser, also Eis.
Was spielt sich hier nun wirklich ab? Es bauen sich gegenseitig immer wieder wechselnde Bezüge und Verweise auf zwischen dem Glas, das Licht nach innen lässt, und dem Glas, das dieses Glas (und vielleicht auch das Licht) spiegelt. So entsteht ein Energiefeld zwischen den Gläsern, dem eine ähnliche vitale Kraft entspringt, wie wir sie auch bei anderen Werken von Manfred May empfinden können.
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